Weiterführende Informationen
Gründung der Charta 77
Ins Deutsche übertragener Text aus Privatarchiv, Ende der 70er Jahre mit Hand abgeschrieben
Charta 77 ist eine freie informelle und offene Gemeinschaft von Menschen verschiedener Überzeugungen, verschiedener Religionen und verschiedener Berufe, verbunden durch den Willen, sich einzeln und gemeinsam für die Respektierung von Bürger- und Menschenrechten in unserem Land und in der Welt einzusetzen – jener Rechte, die den Menschen von beiden kodifizierten internationalen Pakten, von der Abschlussakte der Konferenz in Helsinki, von zahlreichen weiteren internationalen Dokumenten gegen Krieg, Gewaltanwendung und soziale und geistige Unterdrückung zugestanden werden und die zusammenfassend von der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der UN zum Ausdruck gebracht werden.
Charta 77 fußt auf dem Boden der Solidarität und Freundschaft von Menschen, die von der gemeinsamen Sorge um das Geschick der Ideale bewegt werden, mit denen sie ihr Leben und ihre Arbeit verbunden haben und verbinden.
Charta 77 ist keine Organisation, hat keine Statuten, keine ständigen Organe und keine organisatorisch bedingte Mitgliedschaft. Ihr gehört jeder an, der ihrer Idee zustimmt, an ihrer Arbeit teilnimmt und sie unterstützt.
Charta 77 ist keine Basis für oppositionelle politische Tätigkeit. Sie will dem Gemeininteresse dienen wie viele Bürgerinitiativen in verschiedenen Ländern des Westens und des Ostens. Sie will also nicht eigene Programme politischer oder gesellschaftlicher Reformen oder Veränderungen aufstellen, sondern in ihrem Wirkungsbereich einen konstruktiven Dialog mit der politischen und staatlichen Macht führen, insbesondere dadurch, dass sie auf verschiedene konkrete Fälle von Verletzung der Menschen- und Bürgerrechte hinweist, deren Dokumentation verbreitet, Lösungen vorschlägt, die auf Vertiefung dieser Rechte und ihrer Garantien abzielen, und als Vermittler in anfallenden Konfliktsituationen wirken, die durch Widerrechtlichkeit verursacht werden können.
Durch ihren symbolischen Namen betont Charta 77, dass sie an der Schwelle eines Jahres entsteht, das zum Jahr der Rechte politisch Gefangener erklärt wurde und in dessen Verlauf die Belgrader Konferenz die Erfüllung der Verpflichtungen von Helsinki prüfen soll.
Als Signatare dieses Manifestes betrauen wir Prof. Dr. Jiří Hájek, Dr. Václav Havel und Prof. Dr. Jan Patočka mit der Aufgabe, als Sprecher von Charta 77 zu fungieren. Diese Sprecher sind bevollmächtigt, Charta 77 sowohl vor staatlichen und anderen Organisationen als auch vor unserer und der Weltöffentlichkeit zu vertreten, und garantieren durch ihre Unterschrift die Authentizität der Charta 77-Dokumente. In uns und weiteren Bürgern, die sich anschließen, werden sie Mitarbeiter finden, die mit ihnen zusammen die erforderlichen Aktionen unterstützen, Einzelaufgaben übernehmen und alle Verantwortung mit ihnen teilen werden.
Wir glauben daran, dass Charta 77 dazu beitragen wird, dass in der Tschechoslowakei alle Bürger als freie Menschen arbeiten und leben können.
Prag, 1. Januar 1977
Offizielle deutsche Veröffentlichung des Gründungstextes in der FAZ vom 7.1.1977