Der Mauerbau im DDR-Unterricht | philoSOPHIA e.V.
Der Mauerbau im DDR-Unterricht, Didaktische FWU-DVD
Carsten Passin
Die „Mauer“ bzw. der „antifaschistische Schutzwall“ war seit dem 13. August 1960 nicht nur die immer tötungssicherer technisch aufgerüstete Westgrenze der DDR als Produkt der SED-Interpretation einer höchst widersprüchlichen historischen Situation. Sie war den politisch sensibleren unter den DDR-Bürgern auch stets präsent als Kulminationspunkt ihrer Ohnmacht, als reales Zeichen ihrer grundsätzlichen Entmündigung, aber auch als schmerzhaftes Armutszeugnis des realen Sozialismus und seiner politbürokratischen Führung.
Dies war letzterer nicht unbekannt, hatte sie doch ihre bezahlten und unbezahlten Augen und Ohren überall. Von daher hatte das Thema „Errichtung des antifaschistischen Schutzwalls“ und dessen Legitimation in allen Formen der „ideologischen Arbeit“ eine überaus wichtige Rolle, besonders in der Schule, dem Ort der Zurichtung „klassenbewusster sozialistischer Persönlichkeiten“.
Die hier besprochene DVD zeigt uns eine Schulstunde im Geschichtsunterricht zu diesem Thema in einer 10. Klasse aus dem Jahre 1977 in voller Länge, von der Begrüßung durch das übliche „Freundschaft“ bis zur Benotung und Hausaufgabenerteilung am Ende.
Hergestellt wurde die Filmaufnahme damals an der Humboldt-Universität Berlin zur Verwendung in der Ausbildung von Lehrenden. Insofern haben wir es hier mit einer gestellten, speziell vorbereiteten Schulstunde zu tun, worüber in den der DVD beigegebenen Texten auch eingehend reflektiert wird. Der Titel der DVD ist also etwas irreführend, geht es doch um eine spezielle Stunde und nicht um den DDR-Unterricht.
Trotz der Künstlichkeit der Situation scheint diese Schulstunde dem Rezensenten in Erinnerung an viele ähnliche, selbst durchlittene Unterrichtsstunden von exemplarischem Wert für die Art und Weise, wie in der DDR die DDR-Geschichte im Unterricht abgehandelt wurde. Besonders hervorhebenswert sind dabei zwei Szenen, in denen sehr gut deutlich wird, wie manipulativ dieser Unterricht sein konnte, wie wenig es um das Verstehen historischer Zusammenhänge in ihrer Widersprüchlichkeit und statt dessen um das Abarbeiten eines ideologischen Fahrplans mit vorgestanzten Textbausteinen ging:
a) die Entwicklung des Tafelbildes seitens der Lehrerin nach genau vorgebenen Inhalten, was einhergeht mit einer permanenten Mißachtung der Schüleraussagen bzw. deren zweckgerichtete Verdrehung in vorgabengerechte Worthülsen und
b) der äußerst manipulativ wirkende Einsatz einer Schallplatte mit psychologisch aufbereiteten Äußerungen zur Kriegsbedrohung der DDR durch die BRD in den Monaten vor dem 13. August. Der Schallplattenausschnitt ist auf der DVD auch als mp3 und in Transkription enthalten.
Die Unterrichtsstunde ist auf der DVD in einzelnen Hauptsequenzen über ein Menü ansteuerbar. Außerdem enthält die DVD eine Menge Zusatzmaterial:
a) Eine 47-minütige Dokumentation „Halt! Zonengrenze“ als „Blick von der anderen Seite“, die die Geschichte der DDR-Westgrenze nachzeichnet und u.a. die technische Entwicklung vom einfachen Zaun bis zu Selbstschußanlagen und elektrischen Kontaktmeldern verdeutlicht
b) Interviews mit einer ehemaligen Schülerin und einem ehemaligen Schüler, mit einer Kollegin der in der Wendezeit verstorbenen Lehrerin, einem beteiligten DDR-Didaktiker und dem Filmemacher
c) Arbeitsblätter / Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe 1 und 2
d) Zeitgenössisches Text- und Bildmaterial – DDR-Unterrichtsmaterialien, 2 Fluchtgeschichten, Transkriptionen der Interviews und der Unterrichtsstunde
e) Beiträge zur Videoaufzeichnung selbst, zu einer einzelnen Unterrichtssequenz (Tafelbilderstellung) sowie zur Bildinterpretation im Geschichtsunterricht
f) Eine Liste mit weiterführenden Links und mit weiteren Medien zur deutsch-deutschen Geschichte
Die DVD kann in der politischen Bildung zum Thema DDR vielfältige Verwendung sowohl in der Arbeit mit Jugendlichen als auch mit Erwachsenen finden. Um jedoch nicht die Sicht weiterzuführen, die die Lehrerin in jener Unterrichtsstunde verbreitete, daß beide deutsche Staaten nichts, aber auch gar nichts gemeinsam hätten, bleibt nur die Empfehlung, dass die Diskussion dieser Unterrichtsstunde ergänzt werden sollte durch entsprechende live-Materialien aus dem bundesdeutschen Sachunterricht Ende der 70er Jahre.