Liedtexte vor der Wendezeit aus der LP „Wieder stehen“ 1987
Stephan Krawczyk beim Biermann-Konzert 1989 in Leipzig
Das Projekt "Wendezeiten-Zeitenwende" wurde gefördert durch:
Stephan Krawczyk Liedtexte 1987-1990 | philoSOPHIA e.V.
Liedtexte
Stephan Krawczyk
Wieder stehen (1987)
Lang genug auf Eis gelegen,
lang genug umsonst geheult,
muss die starren Glieder regen,
eh’ der Frost ins Herz sich beult.
Hoffnung kommt nicht vor der Trauer,
Rettung kommt von Ohnmacht nicht,
Leben ist von kurzer Dauer,
keine Zeit mehr für Verzicht.
In den Wirren deiner Strähnen
muss ich dir nicht widersteh’n,
abgestürzt vom Rand der Tränen
kann ich in dir untergeh’n.
Das geht solange gut (1987)
Da schmeißt ‘ne Frau in schönem hohen Bogen das allerheiligste Parteibuch hin,
das ist für sie der große Wurf gewesen, doch leider ist sie noch nicht Rentnerin.
Auf einmal sitzt sie zwischen allen Stühlen, so dass sie schnellstens ihren Job verliert,
das ist nicht gut, weil nämlich die Genossen in ihre Akte bisschen Dreck geschmiert.
Das geht solange gut, solang das gut geht,
solange du dich an die Regeln hältst,
doch wenn du fällig bis, dann bist du fällig,
weil du dann meistens auf die Schnauze fällst.
Du liegst solange drauf, solang du drauf liegst,
bis du dich wieder auf die Füße stellst.
Oder so’n Typ mit seinen achtzehn Jahren, der sucht ‘ne Arbeit, die ihm Laune macht,
da kann er höchstwahrscheinlich lange suchen, denn schließlich will er nicht auf Friedenswacht.
Da zeigt man ihm im allerschönsten Frieden, wie drohend über ihm der Hammer hängt
und unter unbetäubten Trennungsschmerzen hat er sich aus dem Vaterland gerenkt.
Das geht solange...
Oder so’n Sängerlein, wie ich, zum Beispiel, hab wie’n Dackel jahrelang gebellt,
bis ich auf’s heikle Thema mit der Macht kam, da ham’se mich dann erst mal kalt gestellt.
Natürlich bin ich daran schließlich selbst Schuld, hätt’ ich mein’ Psalm durch’s Blümchen doch gespuckt.
Ich weiß, das seh’n die Herrn seit jeher gerne: Man kann ja stehen, aber leicht geduckt
Das geht solange....
Wenn die Wasser Balken hätten (1987)
Ungehalten von uns selber treiben wir zum Abgrund hin
davon sing ich, demzufolge liegen wir ja noch nicht drin
lachen is’ noch, tanzen geht noch, reden hab ich zwei gehört
leider kann ich von dem allen wirklich nichts mehr unbeschwert.
Butter klebt uns an den Mündern, warum also kläglich schrei’n
doch der Schwung des Fragezeichens schrumpft zum Punkt darunter ein
denn solang nur paar Idioten sich vom Konjunktiv befrei’n
müssten, dürften, könnten, sollten - sind wir eben sehr allein.
Wenn die Wasser Balken hätten
kämen wir ans andre Ufer
brauchten nicht nur so zu tun
als ob wir noch zu retten sind.
Alles hundertmal beredet und empirisch unterlegt
dass wir nicht in Zeiten leben, wo sich irgend was bewegt
alle unsre Kräfte kreisen auf den Zungen mittlerweil’
und die Augen, Herzen, Hände geben sich als Körperteil.
Doch ein Kind fasst eben erst das heiße Ofeneisen an
um am eignen Leib zu spüren, was es selber spüren kann
den Gebärtrakt unsrer Schmerzen schützt verlässlich ein Kondom
dass wir nicht entbinden müssen, was wir nicht entbinden soll’n.
Wenn die Wasser Balken hätten...
Trotzdem sing ich weiter Lieder, was nicht heißt, dass es wem nützt
was nicht heißt, dass ich auch sänge, wenn ich’s wirklich besser wüsst’.
Wenn die Kinder besser würden, die’s mal besser haben soll’n
würd’ ich Tag und Nach malochen und die Mark zur Kasse roll’n.
Leider macht sich unsre Hoffnung derzeit an den Dingen fest
was den Fall der Hoffnungsvollen irgendwann vermuten lässt.
Wenn wir uns mit uns begnügten und uns wärmten, wenn wir frier’n
könnte ich mit meinen Liedern hilfreich eure Haut berühr’n.
Wenn die Wasser Balken hätten...
Das ist nie gewesen (1989)
Das ist nie gewesen, das war niemals wahr.
Nein, wir waren im Leben niemals in Gefahr.
Aus den offnen Wunden fließt jetzt roter Wein,
nur, die schon verblutet, können nicht verzeih’n.
Könn’ sich nicht besaufen an Vergesslichkeit,
weil sie sich verletzten vor der rechten Zeit.
Konnten halt nicht warten, ach du, das ist dumm:
Was uns heut gesund macht, bracht uns gestern um.
Mein Freund, der Feind (1990)
Ich hatte einen bösen Feind, der hat es gut mit mir gemeint und ließ mich aufrecht gehen
mein Feind war mir ein Augenfang, ich danke ihm, dass er mich zwang, so geradeaus zu gehen.
Mein Freund, der Feind ist tot, war nicht mehr zu ertragen
nun fürchte ich das Morgengrauen und eignes Unbehagen.
Ich fühlte seine Gegnerschaft und schmorte nie im eignen Saft, ein Sud aus Selbstzerfleischung
ich tappte in die Fallen rein und wurde mit gestelltem Bein zum Meister der Entweichung.
Mein Freund, der Feind...
Mein Feind, der hat mir nichts geschenkt, hat mich nur von mir abgelenkt, ich werde ihn vermissen
ich war fast nie mit mir allein, so ließen mich die Innereien nur halbe Sachen wissen.
Mein Freund, der Feind...
Was fang ich morgen mit mir an, ich sitz’ nachdem der Tag begann wohl unter Trauerweiden
und beiß ich selbst mir ins Genick, so werde ich mit steifem Blick sein Heckengrab beschneiden.
Mein Freund, der Feind...