Wendezeiten/Zeitenwende - Dissidenten als Zeitzeugen | philoSOPHIA e.V.
Wendezeiten-Zeitenwende im Jahr 1989/90:
Dissidenten als Zeitzeugen
Ein politisch-historisches Zeitzeugenprojekt des Jugendbildungsvereins philoSOPHIA e.V.
Vor nunmehr über 20 Jahren - im Jahr 1989 - zeichnete sich der Untergang der "realsozialistischen" Staaten im sowjetischen Machtbereich ab. Ein Imperium verschwand ohne Krieg und Bürgerkrieg von der politischen Landkarte - ein historisches Wunder.
Mit der marktwirtschaftlichen und demokratischen Transformation der mittel-, ost- und südosteuropäischen Staaten und ihrem Beitritt zur Europäischen Union vollzog sich ein Epochenwandel für diese europäische Region.
Die Gründe für den Zerfall der sozialistischen Regime sind vielfältig und wahrscheinlich gegenwärtig noch nicht vollständig erforscht. Sicher erodierten sie auch durch oppositionelles Verhalten in unterschiedlichen Erscheinungs- und Ausdrucksformen.
Dissidenten versuchten Zivilcourage vorzuleben, in dem sie Überwachung, Denunziation, Berufsverboten und Haft nicht durch Anpassung auswichen, sondern als Preis ihres oppositionellen Handelns akzeptierten. Sie entwickelten Netzwerke zur unabhängigen Diskussion und Meinungsbildung, um damit ein Gegengewicht zur allgegenwärtigen ideologischen Indoktrination und politischen Entmündigung zu schaffen. Auf diese Weise demonstrierten sie unter den schwierigen Verhältnissen einer Diktatur die Möglichkeit zu bürgerschaftlichem Engagement.
In einem Zeitzeugenprojekt des Jugendbildungsvereins philoSOPHIA e.V. haben zwischen Juni und Dezember 2011 fünf tschechoslowakische und fünf DDR- Dissidenten im Rahmen von 45 Einzelveranstaltungen vor allem mit Jugendlichen, aber auch mit Multiplikatoren und Multiplikatorinnen Gespräche und Seminare durchgeführt. Sie verdeutlichten in den Veranstaltungen anhand ihrer eigenen Erfahrungen als Zeitzeugen den Charakter der sozialistischen Regime und erläuterten auch die Motive, Ziele und Aktivitäten ihres oppositionellen Verhaltens.
In dieser Online-Publikation finden sich Beiträge der Zeitzeugen zu ihren Lebensgeschichten und Erfahrungen sowie weiteres begleitendes Material, das sich mit diesen Themen befasst.
Das umfangreiche Projekt wurde auf eine großzügige und unkomplizierte Weise durch die Bundeszentrale für politische Bildung gefördert und damit ermöglicht. In den Veranstaltungen, die überwiegend in Ostdeutschland realisiert wurden, nahmen 1392 interessierte Menschen teil.
Die beteiligten Zeitzeugen verbanden in ihren Beiträgen ihre biographischen Erfahrungen mit historischen und politischen Analysen des "realen Sozialismus". Dabei wurden besonders folgende inhaltliche Schwerpunkte vermittelt:
Kenntnisse zur Geschichte, zu Struktur und Folgen der sozialistischen Regime
Informationen über Entstehungsgeschichte, Organisationsformen, geistig-politische Profile und politische Zielsetzungen vor allem der tschechoslowakischen und DDR-Opposition
Das geistige und politische Erbe der Dissidenten.: u.a. Zivilcourage, moralische Integrität, intellektuelle Unbestechlichkeit, Einsatz für Demokratie und Menschenrechte sowie künstlerische Freiheit
Das persönliche Kennen lernen von Dissidenten aus der DDR und CSSR, um damit ihren Erfahrungen und Erkenntnissen ein authentisches Gesicht zu verleihen.
Die Jugendlichen betonten oft in den Auswertungen, dass es den Zeitzeugen gelungen sei, ihre biographischen Erfahrungen interessant und spannend mit ihren zeitkritischen Analysen zu verbinden. Sie hätten aus den angesprochenen Themen und Probleme viel Nachdenkenswertes und Anregendes für ihren eigenen Lebensbereich und ihr politische Stellung in der Gesellschaft mitgenommen.
Es zeigte sich, dass Zeitzeugenprojekte ein geeignetes Mittel sein können, um gerade jungen Menschen Einsichten in zeitgeschichtliche Ereignisse zu verschaffen und Wertvorstellungen anhand praktischer und persönlicher Erfahrungen anschaulich zur Sprache zu bringen, die für das Engagement in einer lebendigen Demokratie unverzichtbar sind.
Wolfram Tschiche, Projektleiter
Carsten Passin, Vorstand philoSOPHIA e.V.